Neues Handbuch Unternehmenskommunikation: Backstein mit begrenztem Nutzwert
Die dritte Auflage des „Handbuchs Unternehmenskommunikation“ führt den Untertitel „Strategie – Management – Wertschöpfung“. Geschrieben haben diesmal fast ausschließlich Wissenschaftler:innen, Jörg Pfannenberg hat seinen Beitrag zur Veränderungskommunikation aktualisiert. Wird das Handbuch dem Anspruch gerecht, eine praktische Hilfe für Kommunikationsstrategie und -management zu sein? Und wie sieht es mit der Wertschöpfung aus?
Was ist von einem Handbuch Unternehmenskommunikation zu erwarten? Klar ist, man liest es nicht von vorn nach hinten. Aber als Nutzer:in sucht man in einem Handbuch:
- Modelle, die man für den Alltag in der Unternehmenskommunikation nutzen kann
- Theoretisch fundiertes und aktuelles Wissen für die Praxis aufbereitet
- Stand der Forschung interdisziplinär bzw. – wenn es um die das strategische Management geht – State of the Art
- Hohe Selektivität und damit Auffindbarkeit des Wissens
- Und natürlich: Handlungsorientierung bei der Strategie, Anschlussfähigkeit an modernes Management und klare Verbindungen zu den finanziellen Seiten der Unternehmensführung („Wertschöpfung“).
Schaut man in den Band und einzelne Artikel hinein, dann stellt man fest:
- Die wesentlichen Modelle sind erläutert und auch vielfach grafisch abgebildet. Allerdings fehlen ein paar interessante Modelle von „wissenschaftlichen Außenseiter:innen“, die vielleicht nicht zum Club gehören: So z. B. die wohl beste Arbeit der letzten zehn Jahre, Bürkers Aufnahme der Koorientierungs-These („Die unsichtbaren Dritten“). Stattdessen gibt es auch viele proprietäre Modelle, die kaum anschlussfähig sind.
- Gegenüber der letzten Auflage sind einige randständige Themen und intellektuelle Glasperlenspiele rausgeflogen. Allerdings bleiben zentrale Themen, die Kommunikatoren seit Jahren zunehmend bewegen, wie z. B. der Umgang mit Ethik und ethischer Empörung, außen vor. Unter „Ethik“ findet der:die Leser:in im Handbuch einen Beitrag zur Medienethik und den entsprechenden Selbstregulierungs-Katalogen (Rademacher).
- Viele Artikel ergehen sich seitenweise in Definitionen und Typologien, das Ganze mit vielen Zitaten und seitenlangen Literaturverzeichnissen. Das Ergebnis ist oft nicht mehr als heiße Luft, wie die Erkenntnis, dass das Objekt von „Vertrauen“ Personen und Institutionen sind, von „Glaubwürdigkeit“ dagegen Botschaften (Röttger). Aber dafür braucht man doch keine Wissenschaft, das ist aussagenlogisch trivial.
- Im Gegenzug werden praxisrelevante Verfahren, auch wenn sie von Wissenschaftlern entwickelt wurden, oft nur erwähnt. So z. B. (erneut Röttger) die in der Praxis wichtigen Kriterienkataloge für Vertrauen und Glaubwürdigkeit sowie die Messverfahren dafür. Der Hinweis, dass das schwierig ist, stimmt zwar, aber lässt den:die Nutzer:in hilflos zurück. Ebenso fehlen – daran anschließend – die Strategien und Taktiken für das Vertrauens- bzw. Glaubwürdigkeitsmanagement. Die braucht man aber, um in diesem Bereich operativ werden zu können und nicht in allgemeinem Geschwurbel (ODER WEITER entschärft, z. B. allgemeinen Beschreibungen) stecken zu bleiben.
- Viele Beiträge befassen sich mit allgemeinen Managementthemen wie Agilität und Organisation oder auch mit Themen aus ganz anderen Bereichen wie Psychologie und Ethik. Bei den Management-Themen unterbleibt der Transfer in den Bereich Kommunikation meist ganz. Deshalb greift der:die Suchende bei diesen Themen besser nicht zu dem Handbuch. Denn die Darstellung ist auch in diesen Fällen trotz bester Quellenlage stark bleihaltig – und bleibt deutlich hinter den Fibeln des Campus-Verlag (z. B. „Value Proposition Design“) oder Seiten im Internet (Hasso-Plattner-Institut) oder auch einem gepflegten Erklärfilm zurück.
- Ein Register wäre dringend geboten, um die Inhalte schnell zu finden. Zumal viele Themen unter verschiedenen Überschriften doppelt abgehandelt werden.
Strategie? Management?? Wertschöpfung??? Nein, Text!
Kaum einer der Artikel nimmt Tuchfühlung zum strategischen Management auf. Die wohltuende Handlungsorientierung des Harvard- und systemischen St. Gallen-Managements mit praktischen Modellen und Tools bildet in diesem Band die Ausnahme. Der Bezug zu Wertschöpfung wird zwar immer mal wieder erwähnt, aber nicht in Anleitungen zum strategischen Handeln/Management eingelöst. Selbst der Artikel zu „Evaluation und Controlling“ (Rolke/Buhmann/Zerfaß) ist inzwischen in Definitionen erstarrt, nimmt Modelle aus anderen Disziplinen wie den Marketing-Trichter oder den Loyalty Loop nicht auf. Und auch wie integriertes Controlling inkl. Social Media Listening und Monitoring geht, erfährt man hier leider nicht. Das muss man aber heutzutage als Kommunikationsmanager:in wissen – oder besser – können.
Noch stärker als in den vormaligen Auflagen ist hier die Selbstreferentialität der deutschen Wissenschaft ausgeprägt. Die Literaturverzeichnisse zeigen gern die eigenen Publikationen, dann diejenigen von den Lehrherr:innen und (verbundenen) Kolleg:innen. Fremdsprachige Texte werden weniger zitiert.
Der Praxistest: Alles eine Soße?
Eine Kollegin und ich haben mit dem Handbuch die Probe aufs Exempel gemacht: Wir mussten für einen Kunden eine Strategie für die Influencer Relations auf LinkedIn entwickeln. Das sind keine bezahlten Influencer:innen, sondern überwiegend wichtige Personen aus Unternehmen, Instituten und anderen Institutionen.
Sie haben oft wegen ihrer wichtigen Rolle viele Kontakte und auch Follower:innen. Einige sind recht aktiv, andere weniger. Das Handbuch bietet zu Influencer:innen zwei Beiträge, von Hoffjann und Borchers/Enke. Auch hier seitenlang Begriffsklärungen und Typisierungen/Abgrenzungen. Der Beitrag von Hoffjann arbeitet sich an den Ähnlichkeiten von Pressearbeit und Influencer Relations ab und kommt zu dem Schluss: eigentlich fast dasselbe. Für unseren Fall findet sich rein gar nichts: Obwohl LinkedIn inzwischen in der Unternehmens- und B2B-Kommunikation womöglich der wichtigste Kanal ist, fällt noch nicht einmal der Name. Dabei sind die Beiträge ausweislich der zitierten Literatur in 2022 noch aktualisiert worden.
Die anderen Bände des „Handbuchs Unternehmenskommunikation“ sind noch nicht erschienen. Aber auch hier haben sich offensichtlich Wissenschaftler:innen der Sache angenommen.