Everyone has a story to tell – Workshop “Storytelling als Kommunikationstool”
Ein warmer Sommertag im August, die heiße Luft wabert durch die Agenturräume. Die heruntergelassenen Rollläden verhindern nicht, dass die Sonne ihren Weg in die Werkstatt findet. Getränke und Snacks stehen bereit. An den eiskalten Flaschen haben sich kleine Wassertropfen gebildet, die sich langsam ihren Weg in Richtung Tischoberfläche bahnen. „Nicht direkt zugreifen, das ist erst deine dritte Woche bei JP KOM. Warte lieber, bis sich die anderen etwas genommen haben“, denke ich. Zum Glück greift in dem Moment Jochen nach einer kleinen Schokoladentafel. Auf der Leinwand leuchtet die erste Folie auf. Zu sehen ist ein Bild vom jungen Harry Potter, Hermine und Ron – es zaubert uns ein Lächeln aufs Gesicht, und der eine oder die andere schwelgt in Kindheitserinnerungen. Es herrscht gespannte Stille. Alle sind da: Lea, Sonja, Arne, Andreas, Jochen und natürlich Herr Pfannenberg. Er wird den Workshop leiten. Das Thema: Storytelling. Ein Thema, das so alt ist wie die Menschheit selbst und trotzdem aktueller denn je. Herr Pfannenberg kündigt an: „Heute schreiben wir Geschichten...”
Geschichten erzählt jede:r. Ob dieses Intro ein Best Practice-Beispiel für Storytelling ist, sei dahingestellt. Fakt ist jedoch: Wir erzählen und hören alle gerne Geschichten. Im Privaten, im Marketing und in der Unternehmenskommunikation – denn nichts verleiht einer Botschaft, Inhalten oder Werten so viel Nachdruck wie eine emotionale und mit Hingabe erzählte Geschichte. Deshalb haben wir uns dem Thema in einem internen Workshop gewidmet. Welche Potenziale stecken im Storytelling? Welche Methoden gibt es? Und wie entwickelt man eine gelungene Story?
Was ist Storytelling und wofür wird es eingesetzt?
Storytelling ist ein Kommunikationswerkzeug: Anhand einer emotionalen und mitreißenden Geschichte soll die gewünschte Zielgruppe von einer Botschaft überzeugt werden. Sei es der Kauf eines Produkts oder die Vermittlung von Inhalten – Storytelling kann auf kreative Art die Aufmerksamkeit der Leser:innen, Zuhörer:innen oder Zuschauer:innen wecken.
Der Motor dahinter sind Emotionen. Menschen wollen teilhaben, fühlen und mitgerissen werden. Selbst die trockensten Botschaften lassen sich emotional und dramaturgisch so aufladen, dass wir nicht mehr von der Story loskommen.
Heldenreise, Bedeutungs- und Ereignisebene: die Struktur von Stories
Gute Stories fliegen kaum jemanden einfach zu, sie sind das Resultat der Verbindung von Methode und Theorie. Die Systematik dahinter: Egal ob klassische Entwicklungsgeschichte, Schicksalsroman oder unerwartetes Comeback – die meisten Stories folgen gängigen Erzählpatterns.
Sie enthalten Elemente, die die Leser:innen, Zuschauer:innen oder Zuhörer:innen bewegen. Dazu zählen Orte, Herausforderungen, Gadgets (wie Schwerter oder Zauberstäbe), Statements und vor allem: die Details. Diese bringen die Leser:innen dazu sich das Erzählte lebhaft vorzustellen. Aber erst die Akteur:innen und ihre Handlungen erwecken Emotionen und Sympathie. Der unerschrockene Held, der boshafte Gegenspieler oder der treue Helfer lassen uns teilhaben und mitfühlen. Wir sind verständnisvoll, wenn der Held vor seiner Berufung, noch nicht der Alleskönner ist, zu dem er sich im Verlauf der Geschichte entwickeln wird. Wir leiden mit, wenn der Held vor seiner ersten großen Prüfung steht. Und wir sind erleichtert, wenn der Held und seine Helfer zum Schluss wieder heil zu Hause ankommen.
Die Heldenreise
Ganz klassisch kommt wahrscheinlich jedem mit dem heldenhaften Protagonisten die Heldenreise in den Sinn. Gut versus Böse – der Held gegen den Bösewicht. Bekannt aus Mythen, Filmen oder Videospielen, folgt die Heldenreise festen Stationen. Nach der Einführung in die Handlung wird der Held zu etwas berufen, meist von seinem Mentor. Überschreitet er anschließend die erste Schwelle, sei es der Waldrand oder die Brücke, die ihn aus seiner gewohnten Welt in das Abenteuer führen, kommt der Held zum ersten Mal in Berührung mit seinem Gadget. Damit das Gadget seinen Nutzen erfüllen kann, kommen im Anschluss Prüfungen, Versuchungen und Probleme auf unseren Helden zu. Darauf folgt der finale, lebensverändernde Kampf, der den Helden zu seinem Objekt der Begierde führt. Diesen Kampf meistert er natürlich mit Bravour und kann fliehen. Zum Schluss kehrt er glücklich und als Held, der er immer schon war, gefeiert nach Hause zurück.
Strukturalistische Theorie
Die Heldengeschichte ist aber nicht das einzige Transportmittel, wenn wir unseren Zuhörer:innen, Leser:innen oder Zuschauer:innen eine Botschaft mitgeben wollen. Alternativ wird sich häufig der erzähltheoretischen Konzepte strukturalistischer Theorien bedient.
Der Strukturalismus fasst Texte beziehungsweise Geschichten als ein System von Zeichen auf und versucht darin eine Reihe von Gesetzmäßigkeiten herauszustellen, nach denen sich diese Zeichen zu Bedeutungen verschmelzen. Übertragen auf Stories bedeutet das: Geschichten haben eine Ereignis- und eine Bedeutungsebene. Auf der Ereignisebene findet sich das Sujet: Die Handlungen, die unsere Geschichte strukturieren (Was passiert?). Die Bedeutungsebene enthält das, was im Kopf der Leser:innen entsteht, während die Handlung auf der Ereignisebene ihren Lauf nimmt: die Bedeutung. Indem die einzelnen Zeichen und Handlungsbausteine in Beziehung zueinander gesetzt werden, wird die Bedeutungsebene durch die Ereignisebene hervorgebracht.
Die Ereignisebene jeder Geschichte ist durch eine räumliche Struktur geprägt, die Topologie. Wichtigstes Merkmal ist hier die klassifikatorische Grenze zwischen zwei semantischen Räumen. Sie ist prinzipiell unüberschreitbar, außer für unseren Helden. Denkbar wäre hier zum Beispiel der Waldrand, den der Held überschreitet und damit die gewohnte Welt verlässt und in eine neue, ungewisse Welt eintritt. Nur durch die Grenzüberschreitung nimmt die Handlung an Fahrt auf.
Ab diesem Zeitpunkt wird die Handlung durch Wiederholungen geprägt durch deren Abwandlung die Bedeutung entsteht. Denn: Die Wiederholungen müssen voneinander abweichen. Im Gegensatz zu einem Bericht, der geradlinig verläuft, wird den Leser:innen in der Story dieselbe Szene in abgewandelter Form mehrmals vorgesetzt.
Stories entwickeln: Von der Botschaft ins Detail
Keine Story steht von Anfang an. Ich kann mir sicherlich wünschen, dass mich die perfekte Story wie eine Erleuchtung überfällt – das tut sie aber in den seltensten Fällen. Der Kreativität auf die Sprünge helfen kann man in diesen Schritten:
Vorab sollte die Botschaft, die mithilfe der Story vermittelt werden soll, klar definiert werden. Die Story kann noch so gut geschrieben, emotional aufgeladen und mitreißend sein, wenn sie keine eindeutige Botschaft transportiert, wird sie die Leser:innen nicht überzeugen. Denn: Die Botschaft ist das Ziel einer jeden guten Story. Im Anschluss sollten Felder herausgefiltert werden, die der Story einen Kontext geben – zum Beispiel die Bereiche Politik, Sport oder Wirtschaft. Anschließend werden Stories entwickelt. Die zu klärende Frage lautet: Wie könnte eine Story mit der ausgewählten Botschaft im Kontext der verschiedenen Suchfelder aussehen? Hat man sich für ein geeignetes Beispiel entschieden, folgt die Definition der einzelnen Elemente und die Ausarbeitung der Ereignisebene, der Handlung, und der Details.
Unser Fazit nach dem Workshop
Obwohl Storytelling beileibe kein neues Konzept ist (worüber es lebhafte und ausführliche Diskussionen während des Workshops gab), ist es ein Modell der Zukunft: Geschichten binden Zuhörer:innen, Leser:innen oder Zuschauer:innen, nehmen sie auf eine emotionale Reise mit und schaffen Glaubwürdigkeit. Auch wenn aller Anfang schwer ist und auch wir uns bei der Entwicklung eigener Stories aus dem Stegreif schwergetan haben, lohnt es sich dranzubleiben, und es macht vor allem Spaß. Deshalb können wir nur alle ermutigen: Wer weiß, vielleicht werden Sie ja der nächste Dan Brown!